USA: Reisebericht, Hecz-Obermann

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Reiseberichte von Andrea Hécz-Obermann

Vorname: Houston, Wohnort: Houston

„Namen, Namen, nichts als Namen. Namen gibt es tausendmal, doch wer die Wahl hat, hat die Qual.“ Das Lied, gesungen auf einer Kinderkassette, spricht die Wahrheit. Die Wahrheit darüber, wie es Eltern ergeht, wenn sie einen Namen für ihren Ehesegen suchen.

Dem setzt das geltende Namensrecht in Deutschland feste Grenzen. Anders in den USA, wo der Fantasie kein Riegel vorgeschoben wird.  Im Land der unbegrenzten Namenswahl klingen manche Personenbezeichnungen merkwürdig – zumindest für europäische Ohren: Nivea, Page, Armani, Usnavy, Life, Love. Ob Männlein oder Weiblein? Die Antwort kommt mit dem Erscheinen der Person. Schwierig wird es, wenn jene unsichtbar bleibt. Wie zum Kuckuck eine E-Mail beantworten, deren Absender „Je t´aime“ heißt? Lautet die Anrede: Sehr geehrte oder sehr geehrter?

„In God We Trust“, wir vertrauen auf Gott, ist das Motto der USA seit 1956 und prangt auf der Rückseite des grünen Papiergeldes. Darüber hinaus darf sich ein 57-jähriger Maler in Chicago so nennen. Als Vorname wählte er „In God“, als Nachname „We Trust“ mit der Begründung,  Gott habe ihm immer geholfen.
Als weitere Besonderheit amerikanischer Namensfreiheit dürfen Mädchennamen für Jungen verwendet werden und umgekehrt: Vor „Taylor“ könnte der Artikel „die“ aber auch „der“ stehen. Familiennamen können zu Vornamen werden: Kennedy, Campbells (eine heiße Suppe, bitte!), Roosevelt, Trumann.
Ganz in „Star Wars“-Manier tauften 895 texanische Eltern ihren Junior „Luke“. Dem lieben Gott verschrieben sich 1341 Mamas und Papas, indem sie ihren Nachwuchs „Jesus“ nannten. Welche Fischart sie bevorzugen, zeigten manche Eltern in South Dakota: „Zander“ heißt ihr Junior – paniert oder gebraten? Wobei das Wort im Englischen keinen Flossenträger meint.

Trendy sind auch Städtebezeichnungen. Eine Studie der „Social Security Administration“ ermittelte, dass „London“ und „Alexandria“ besonders gern als Mädchennamen gewählt wurden. Viele männliche Hosenmätze heißen heute Orlando, Dallas, Boston oder Houston.

Motorisiert auf Gottes Acker

Einst ritten hier Indianer und Cowboys, heute fahren mehrere unzählige Fahrzeuge durch Amerika. Würde man in den USA die Benzinhähne zudrehen, das nach Russland und Kanada drittgrößte Land der Erde käme zum Stillstand. Die Mehrheit der über 308 Millionen Einwohner ginge kaum noch aus dem Haus.
Denn sobald die meisten die Türschwelle übertreten, steigen sie ins Auto. Medikamente abholen? Man fährt zur Apotheke, die oft in einem Einkaufszentrum untergebracht ist und sucht an der Seite des Gebäudes nach der  Überschrift „drive thru“ (durchfahren). Das Rezept durch ein Fenster einreichen, und wenige Minuten später bekommt der Patient was er möchte, tritt aufs Gas und düst zur Bank. Hier wieder „drive thru“. Die gleiche Prozedur beim Essen. In Las Vegas, Nevada,  lässt es sich  sogar “drive thru” heiraten – die Preise liegen zwischen 49 und 1000 Dollar.

Viele Amerikaner rollen auf vier Rädern durchs Leben. Und wenn dieses zu Ende ist findet die Beerdigung selbstverständlich per Auto statt. Nach der Zeremonie zollen Angehörige den Gräbern ihrer Verstorbenen motorisierten Respekt.
Diverse amerikanische Friedhöfe sind als riesige Parkanlagen angelegt. Wie beispielsweise der „Mount Olivet Cemetery and Mausoleum“ im texanischen Dickinson, gelegen an der Highway 45,  Ausfahrt 19, auf dem halben Weg zwischen Houston und Galveston. Hinter dem Eingang säumen Fichten und Eichen den Weg. "Squirrels“, vergleichbar mit den europäischen Eichhörnchen, springen von Ast zu Ast. Auf dem Gelände, das etwa so groß ist wie 50 Fußballfelder, gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 10 Meilen, knapp 20 km/h. Die Straßen tragen Namen wie Sankt Gregor oder Sankt Margaret. Grabsteine, ohne Hügel davor, und in die Wiese eingelassene Platten zeigen, wo die Toten begraben wurden. Durch das Gras sind die flachen Ruhestätten kaum sichtbar. Als Zeichen amerikanischen  Patriotismus weht der Sternenbanner auf zahlreichen Soldatengräbern. Laut Friedhofsordnung dürfen weder Holzkreuze noch das Ewige Licht aufgestellt werden, verwelkte Blumen entfernt das Personal nach zehn Tagen.

Um „die atemberaubende Landschaft der letzten Ruhestätte“, so die Friedhofsbroschüre, zu vollkommnen, erstreckt sich mitten auf Gottes Acker ein See mit mehreren Springbrunnen und einer Holzbrücke. Auf der  gelangt man zu den Mausoleen.

Ein Auto nähert sich, biegt um die Kurve, vor dem Mausoleum bleibt es stehen. Eine ältere Dame steigt aus, geht zur Mauer, bekreuzigt sich, rückt den etwas schiefhängenden Kranz zurecht und faltet die Hände zum Beten. Lynn Long besucht die Grabstätte ihres verstorbenen Mannes. Als  sie hört, dass man in Europa auf einem Friedhof spaziert, entfährt ihr ein „How strange!“ (Oh, wie merkwürdig). Um ihre Verwunderung zu verbergen, lächelt die 69-Jährige freundlich. Ein Platz neben ihrem Mann sei bereits gesichert, erzählt sie und zeigt auf ihren eingravierten Namen. Drei weitere Familienmitglieder seien auf diesem Gelände begraben, fährt sie fort: Ihre Eltern, die sich eine Platte in der Erde wünschten, und ihr Enkelsohn, dem ein Grabstein erstellt worden sei. Weil sie auch jenen die Ehre erweisen möchte, verabschiedet sie sich, steigt ins Auto und rollt weiter.

Heelys: Rollend durchs Leben

Welche Zutaten nehmen, um etwas zu kreieren, das gleich bei der ersten Vorstellung Hunderte begeistert?
Man nehme: die Erinnerungen an eine Kindheit, verbracht auf Rollschuhen; eine Prise Lebenskrise, ein Paar Laufschuhe, ein erhitztes Messer, das sonst zum Butterstreichen gebraucht wird, eine kleine Stange und das Radlager eines Skateboards. Die Ferse des Schuhs aushöhlen, Stange mit Radlager hineinbohren. Beim Ausprobieren x-mal auf die Nase fliegen, dieses und jenes ändern, bis der Schuh rollt. So entwickelte Roger Adams mit 45 Jahren die „Heelys“, die Amerika seit neun Jahren elektrisieren.

Die fliegenden Latschen kosten zwischen 50 und 100 Dollar und werden „wheel-in-the-heel shoes“ genannt, Schuhe mit Rädern in der Ferse.  Der Volksmund nennt sie nur „Heelys“, in Anspielung auf die gleichnamige Herstellerfirma.

Die ist beheimatet in Carrollton, 40 Kilometer nordöstlich vom texanischen Dallas. 5,2 Millionen Paare hat das Unternehmen nach eigenen Angaben 2006 in den Staaten verkauft. Sie stehen auf der Wunschliste der 6- bis 14-jährigen Mädchen und Jungen. Deren Zahl schätzen die Statistikliebhaber auf rund 36 Millionen. Summa summarum: Jedes 7. Kind in den USA „heelt“.

Zu ihnen gehört auch Zachary. Letztes Jahr, nach einem prima bestandenen Mathetest, habe er endlich seine „Heelys“ bekommen, erinnert sich der Zehnjährige. Er benutze sie gerne nach der Schule, um nach Hause zu gleiten. Während der Junge mit den Sommersprossen seine Wunderschuhe bindet, erzählt er, dass er mit seiner Familie vor zwei Jahren aus Michigan in die Nähe Houstons umgezogen sei. Der Viertklässler steht auf, nimmt auf Zehenspitzen Anlauf, setzt einen Fuß vor den anderen und verlagert sein Gewicht auf die Ferse: Lächelnd rollt er davon. Kurz posiert er fürs Foto und verabschiedet sich  mit einem „Bye, bye“. 20 Minuten lang wird sein Heimrollen dauern.  Er wird aufpassen müssen, dass seine Füße nicht umknicken.

Ausgeschlossen ist das nicht: „Heelys“ sind Halbschuhe und bieten daher keinen Halt für die Knöchel. Das ist einer der Gründe, warum die Bostoner gemeinnützige Organisation  „World Against Toys Causing Harm“ sie auf die Liste der zehn gefährlichsten amerikanischen Spielgeräte im Jahr 2006 setzte. Knochenbrüche, Wirbelsäulen- und Kopfverletzungen seien häufig die Folgen.
In der Tat ließe sich manchen Gefahren auch vorbeugen, wenn die Heranwachsenden eine Schutzausrüstung trügen. Das tun aber meistens nur jene, die auf den Seiten der Gebrauchsanweisung abgebildet sind.
Die Millionen anderen, die in den Einkaufszentren und zwischen den Regalen der Baumärkte rollen, tragen höchstens ein Käppi. Gesichtet wurden auch Kinder, die in der Kirche gleiten – zum Pfarrer, um die Hostie zu empfangen.

An immer mehr öffentlichen Plätzen prangen landesweit Verbotsschilder mit der Aufschrift „No Heelys“. Es sei zu gefährlich, die Kids würden oft in einen hineinschlittern oder ausrutschen, verdeutlicht Nivea Robles das Problem. Die Grundschullehrerin für Englisch und Spanisch in Seabrook, gelegen an der Hafeneinfahrt nach Houston, empfiehlt ihren Schülern die Räder aus der Ferse zu  entfernen, bevor sie das Schulgebäude betreten.

Robles´ 7-jährige Tochter bettelt seit anderthalb Jahren um rollende Hacken. „Wenn sie ist, Helm und Co. zu tragen, könnte sie welche kriegen“, sagt die 39-jährige Mutter mit einer Miene, diekeinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen lässt.

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